Exhibition, 2005

»Mein Wilder Westen war der Kaukasus«

Wild Wild EAST setzte sich mit dem Cowboy in der DDR und in Ostdeutschland nach der Wende auseinander. Anhand einzelner biografischer Geschichten wurde der Wilde Westen im Spannungsfeld von politischer Symbolik, Hobby und Traum von Freiheit diskutiert. Die Ausstellung ist eine Collage aus künstlerischen Dokumentationen junger Fotograf:innen aus den USA und Ostdeutschland sowie historischen Originaldokumenten.

Zwischen Spiel, Kommerz und Lebensgefühl

Startpunkt der Ausstellung sind Spielzeugfiguren. Schließlich hat jedes Kind einmal Cowboy und Indianer gespielt - im Westen wie im Osten. Philipp von Recklinghausens Fotografien von Cowboyfiguren aus den 60er und 70er Jahren stehen Lars Nickels Bilder aus dem Erlebnispark Silverlake City gegenüber. Silverlake City, 70 km nord-östlich von Berlin gelegen und erst im Sommer 2004 eröffnet, ist der jüngste Höhepunkt des Countrybooms in Ostdeutschland. Auch wenn Silverlake City ein kommerzielles Projekt ist und damit der Gegenpol zum naiven Kinderspiel, scheint durch die Westernkulissen die Sehnsucht nach einem - fiktionalen Ort - der Freiheit durch. Seinen eindringlichsten Ausdruck findet der Traum von Wilden Westen in der Countrymusik. Auch in der DDR gab es eine (geheime) Countrymusik-Szene. Den Abschluss der thematischen Einführung bildet daher eine Auswahl aus der Schallplattensammlung von Mario Wildner - Countrymusik made in GDR.

Cowboy-Sein als Freiheitstraum

Diese Musikauswahl leitet über zu Arbeiten, die exemplarischen Einblick in die Lebenswege Ostdeutscher Cowboys geben. Z.B. in das Leben von Loman, der in den 80er Jahren die ersten Countryfestivals der DDR organisierte und dabei nicht selten in Konflikt mit der Staatssicherheit geriet. Seit der Wende moderiert er seine eigenen Country-Sendung im Radio beim MDR. Neben Zeitungsartikeln und Autogrammkarten von Loman zeigt Andreas Tauber Bilder der Werkstatt, in der Loman schon zu DDR-Zeiten Cowboyhüte, Westernsättel und andere Utensilien für Cowboys in Handarbeit hergestellte. Wiebke Loeper zeigt Bilder und Videos vom Artistenpaar Hans und Rosi Hammer, die seit den 70er Jahren Cowboynummern mit Lasso, Peitsche und Pistole für Zirkus und Variéte entwickelten. Heute tritt Hans als Sam Hawkins Junior in Altersheimen und Autohäusern auf. Sein persönlicher Wilder Westen ist der Kaukasus, wo er Anfang der 70er Jahre bei einem wilden Reiterstamm lebte. Dass es die DDR nicht mehr lange geben würde deutete sich in Plauen schon im Frühjahr 1989 an, als sich hier, ganz offiziell, der erste (und einzige) Square- und Linedance-Verein der DDR gründete. Nicht ohne Grund ist Plauen auch der Ort, wo das erste Ostdeutsche McDonalds eröffnete. Der Amerikaner Eric O’Connell hat White Magpie besucht und seine Mitglieder in Kostüm und Uniform portraitiert.

Der Wilde Westen als Parabel für Marktwirtschaft und Kapitalismus

Eine ganz andere Bedeutung hat der Wilde Westen für Bert Neumann, Bühnenbildner der Volksbühne in Berlin. Für ihn ist ganz Ostdeutschland ein Wilder Westen - Wilder Westen als Symbol der westlichen Marktwirtschaft. In Wild Wild EAST treffen seine Bühnenbilder, die ins Heute transformierte Westernkulissen darstellen, auf die Arbeiten von Heinz Röske, dem Filmarchitekten der legendären Defa-Indianerfilme mit Stars wie Goijko Mitic und Dean Read. Auch für Heinz Röske ist der Wilde Westen kein positives Ideal, sondern eine Parabel für den Kapitalismus. In einem Audiobeitrag reflektieren sie ihr Bild vom Wilden Westen, die Bedeutung von Cowboys und Indianern in der DDR und ihren Traum von Freiheit.

Berliner Insel

Die DDR kann man nicht ohne West-Berlin denken, also auch nicht ohne Old Texas Town. Seit über 30 Jahren entsteht inmitten einer Schrebergartensiedlung in wochenendlicher Kleinarbeit eine Westernstadt mit Kirche, Museum, Saloon und Friedhof. Sylvia Chybiak nähert sich Old Texas Town von außen, untersucht die Grenzen, die Videoüberwachung, die Warnschilder, während Lars Nickel die Vereinsmitglieder portraitiert hat. Den klanglichen Hintergrund dieser beiden Arbeiten bildet das berühmte Lied „Old Texas Town“ der Band Truck Stop mit dem einprägsamen Refrain „Old Texas Town, die Westernstadt, liegt mitten in Berlin“.

Der Cowboy als tragischer Held der Moderne

Den Abschluss der Ausstellung bildet eine Videoarbeit von Peter Buecheler. Er hat den berühmten West-Berliner Lassokünstler Mike Maverick in einen Überseecontainer gestellt. Das Sinnbild der männlichen Freiheit – der Cowboy – trifft auf das Sinnbild globalisierter, standardisierter Ökonomie – den Container. Der Cowboy mit seinem Lasso ist im viel zu kleinen Container zum Scheitern verurteilt, immer wieder kracht das Seil scheppernd gegen die Blechwand und fällt zu Boden. Der Cowboy als tragischer Held der Moderne, sehnsüchtig nach Freiheit, aber selbst schon zu einem globalisierten Stereotyp geworden.

Beteiligte

Kuratoren: Friedrich von Borries, Torsten Fremer
Kunstwerke: Peter Buecheler, Sylvia Chybiak, Wiebke Loeper, Lars Nickel, Eric O´Connell, Philipp von Recklinghausen und Andreas Tauber
Grafik: substratdesign, Brigitte Speich und Markus Wohlhüter

Related Projects

Publication

Sozialistische Cowboys

Ein Roadtrip durch den Wilden Westen Ostdeutschlands, zu Indianer-Clubs und Wild-West-Städten.

Ein Roadtrip durch den Wilden Westen Ostdeutschlands, zu Indianer-Clubs und Wild-West-Städten. Die historische Reportage begleitet die Protagonisten bis in eine Gegenwart, in der die amerikanische Geschichte eine andere Bedeutung bekommt: »reenactment«. In nachinszenierten Schlachten aus dem Bürgerkrieg übernehmen sie am liebsten die Rolle der Konföderierten und identifizieren sich mit dem Stolz der Verlierer.